Das Schweigen und die Kraft

Hulot am 5. März 2022 in Texte.

Das Schweigen und die Kraft

Erst die Olympischen Spiele in Peking und nun der Krieg Putins gegen das ukrainische Volk – die »starken« Männer treten aus dem Schatten hervor. 2022 ist ihr Jahr, die Welt ihre Bühne. Dahinter lachen die kleineren Beta-Diktatoren. Vorfreude auf das Wachstum der eigenen Bedeutsamkeit ist nun garantiert. Der »Westen« schaut sich um und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wirtschaftliche Verbindungen? Ignoriert. Der Markt regelt? Russische Panzer übertönen das lässig. Die Kraft des besseren Arguments im Rahmen gewaltfreier Kommunikation? Muss man erst einmal bringen können, so ganz ohne Zähne.

Sind Putin und Co nicht alle verrückt? Schön wäre es. Aber nein, sie folgen einer Logik: ihrer eigenen. Unsere hieß bisher: Überkompensation des Zweiten Weltkriegs. Institutioneller Pazifismus. Hosen runterlassen, damit jeder sieht, wie gut wir es meinen. Nun drehen wir uns langsam um und beugen uns nach vorn. Wie gesagt: Ohne Hosen. Denkt an was Schönes. Das wird weh tun.

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Aber das deutsche Volk, diese Revolutionäre mit Bahnsteigkarten, diese sarkastischen Salonlinken, diese ramponierten Reichsknechte, der rheinische Katholizismus des Abwartens und zu Tode Wirtschaftens, der ostdeutsche Nostalgiekrebs auf ORWO-Film und schwarzgepresster Schallplatte (Ungarn!), alle brauchen sie wieder einmal einen Weckruf. Bisher galt ja: Warum auch in den Wind hinein schreien, wenn man schweigen kann? Ruhe ist erste Bürgerpflicht!

Im Ernst: Wir sind so viel besser, doch erschrecken wir uns viel zu oft vor der eigenen moralischen Leistungsfähigkeit und unserer pragmatischen Bereitschaft. Die besitzen wir! Nur trauen sich die wenigsten, die Katzen aus dem Sack zu lassen. Pose statt Haltung! Wie wohl haben wir uns alle bei 9/11 gefühlt, da waren wir nämlich alle Amerikaner. Auf der Suche nach einer Identität springen wir mit jeder noch so dämlichen Idee in die Kiste und wundern uns, dass wir schwanger mit einer krüppeligen Kopfgeburt aufwachen. Dabei sind wir so viel mehr, als das zerknitterte Gestern in Deutschland oder das austauschbare Heute in der Fremde.

Nein, wir brauchen diesen Schuss, weil wir die vielen letzten – Hat irgendjemand Klima oder Menschenrechte gesagt? – nicht mehr gehört haben. Wir fangen erst zu schwimmen an, wenn die Scheiße Unterkante Oberlippe steht. Dann aber wie die Weltmeister. Das haben wir drauf. Kann man machen. Oder aber man überlegt sich, wie man die Werte, die man ja selbst am Hindukusch oder auf dem Profilbild des eigenen social media accounts zu verteidigen bereit ist, so unterstützt, dass man auch gegen Verbrecher wie Putin oder das ZK der chinesischen KP verteidigen kann. Notfalls auch allein. Und ich rede hier nicht von Waffen. Sondern einem selbstbewussten Auftreten, das durch breite Bündnisse und Wehrhaftigkeit gestützt wird.

(Zur Seite: Und sollte das alles scheitern, ist das auch nicht schlimm. Der Deutsche ist süchtig nach Untergang, Heldentod, Götterdämmerung. Wäre ich auch, wenn ich nur grübeln, aber nie handeln würde.)

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Während ich das hier schreibe, höre ich Tschaikowski. Die »1812 Ouvertüre«, der Musik gewordene Rausschmiss Napoleons aus Europa. Damals hatten die Russen den französischen Imperator mit Kanonen aus dem Land gejagt. Kein Jahr später gab es in Leipzig den Arsch voll und 1815 war der Spuk ganz vorbei. Es ist dieses Einsprengsel von Kultur, das mich weiterleben lässt. Die Hoffnung ist keine Panzerfaust-Lieferung aus NVA-Beständen. Es ist die Erinnerungen an das, was wir mal waren. Es ist die Zuversicht, dass es ein Danach geben wird. Und Gedichte. Die Klänge einer Triangel vielleicht. Der Geschmack von Vanilleeis und einem Kuss, gerne auch gemeinsam. Der Duft des Winters. Wir können alles besser machen. Doch heute müssen wir kämpfen.

Ich hoffe, wir besitzen den Mut, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und die Kraft, sie durchzuhalten. Denn nicht die Russen sind der Feind. Aber das wussten Sie bestimmt auch ohnen diesen Text schon.

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