27. Juli 2021

Hulot am 27. Juli 2021 in Texte.

Der Tod, das ist die kühle Nacht, Das Leben ist der schwüle Tag.

27. Juli 2021

An einem Fluss zu leben heißt wahrscheinlich auch immer, in einer Ferne zu leben. Schiffe wühlen gegen die Strömung an, während andere sich einfach treiben lassen. Bootsleute laufen von Bug zu Heck, Gummistiefel, Mütze, sicherheitsbewusste Schrittfrequenz. Ich kenne ihre Namen nicht, sie nicht meinen. Auf der Brücke flattern Flaggen ferner Länder. Jede Sekunde ist der Fluss ein anderer. Aber immer da. Vielleicht ist das die Magie: ein konstanes Raum-Zeit-Ragout, für das wir Nicht-Flussler besonders empfänglich sind. Unter Umständen bin ich aber auch nur eine Trantute.

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Düsseldorf verweigert sich mir, ich kann es nicht lesen. Anders als zum Beispiel in London ist keine meiner Geschichten mit dieser Stadt verbunden. Sie ist vor allem schmutzig, aber noch nicht bis zur Sympathie. Längst keine in Barock erstarrte, dummglänzende, schlecht toupierte Residenzstadt wie Dresden. Weit weg vom Selbstbild Berlins als kultureller Durchlauferhitzer, den alle anderen in der Republik als den Rosteimer der Vergangeheitsvergangenheit erkennen, der er eigentlich ist. Kein Einlass in das Dahinter, nirgends. Kraftwerk, Heine, Campino – Für mich alles Vokabeln ohne inneren Ankerplatz. Aber ich will es nicht abschreiben. Auch in Frankfurt habe ich eine Ewigkeit gebraucht, um so etwas wie heimatliche Verbundenheit zu spüren. Auch dort war alles bunt und babylonisch, so dass meine durchsichtige Blässe mich zum Fremdkörper gemacht hat. Kann verstehen, dass Menschen davor Angst haben.

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Aber man sieht hier auch, wo die Besitzer des Ostens leben. Und jene, die gar nichts haben. Den Müll nach Brauchbaren durchwühlen, im schwachen Schein einer Fahrradlampe. Als wir wieder heimkehren, flackert ein Feuerzeug zwischen einem Gesicht und einem Stück Silberpapier. Junge Touristen nutzen die Totenstadt und fetzen auf elektischen Rollern durchs Dunkel. Ein Mann schiebt sich aus dem Schatten zwischen den parkenden Autos und fragt eine Frau, wie es ihr geht. Man kennt sich. Deshalb ist sie bang und wortkarg. Auf der Königsallee, kurz »Kö«, verschmutzen die Fassadenlichter der internationalen Supermarken die Finsternis. Am Bahnhof diskutiert eine alte Berberin mit einem jungen Schnicks, der sich in ihrer Nähe niederlassen will. Warum er nicht auf die andere Seite gehe, Platz genug ist ja. Ein Araber pflichtet ihr bei, tief verborgen in einer Burg aus Schlafsäcken, Zeitungen und Pappkisten. Der Schnicks mault noch etwas, trollt sich, folgt uns aber nicht. Erleichterung.

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Der geplante Abstecher in die Niederlande stirbt. Seit heute sind die Inzidenzen auch in Düsseldorf wieder im bedenklichen Bereich. Restkultur und Gastronomie ist praktisch nur noch für Geimpfte, Genesene oder Getestete möglich. Überall schießen Testcenter aus dem Boden, fast alle ohne Terminbuchung und kostenlos nutzbar. Die Gischt der vierten Welle kräuselt sich leise von West nach Ost.

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