Was ist der Mensch?

Hulot am 1. Dezember 2023 in Texte.

Versuch einer Grabrede.

Was ist der Mensch?

Der Mensch ist ein Zug. Manchmal bringt er uns ans Ziel, warm und rumpelnd, manchmal verspätet er sich. Hin und wieder steigen wir in den falschen ein und fahren in eine vollkommen verkehrte Richtung. Oder kommen zu spät und sehen ihn in der Ferne verschwinden. In seltenen Momenten fahren zwei Züge nebeneinander her. Dann scheint für einen magischen Augenblick alles still zu stehen. Du kannst in das Abteil neben dir schauen, ganz nah und doch unerreichbar. Du spiegelt dich in deiner Scheibe und fast scheint es dir, dass du drüben bist.

Was ist der Mensch?

Der Mensch ist ein Buch. Voller großartiger Geschichten. Oder Wörtern, die man nicht versteht, geschrieben in einer Sprache, die vielleicht lange schon niemand mehr spricht. Manche lesen sich mit einem Mal weg und sind schnell vergessen. Andere breiten sich über mehrere Bände aus und sagen gar nichts. Es gibt dicke und dünne Bände, Dramen, Romane und kleine Gedichtsammlungen. Für jeden, der sie aus dem Bücherregal zieht, bedeuten sie etwas anderes. Da ist dieser eine Satz, der einen fängt und miteinander verbindet. Während für alle anderen alles still und fremd bleibt.

Was ist der Mensch?

Der Mensch ist ein Witz. Die schönsten lassen uns miteinander lachen, nicht übereinander. Manche sind unpassend, bei anderen muss man dabei gewesen sein. Alle wollen sie nur das eine: Um sich herum Freude schaffen.

Was ist der Mensch?

Der Mensch ist ein Schiff, das über die Meere fährt. Er kommt in stürmische Wetter, muss gegen Wellen kämpfen, die ihn zu vernichten drohen. Doch ab und zu sind da auch diese wundervollen klaren Nächte, in denen man die Pracht der Sterne erleben darf, so man denn hinsieht. Der eine schippert geruhsame von Hafen zu Hafen, der nächste verfährt sich und trifft auf unentdecktes Land und zuweilen geht einer unter.

Was ist der Mensch?

Der Mensch ist ein Mensch. Er will fair sein und ist zugleich ungerecht. Er will Liebe und ist gleichzeitig jemandes Schmerz. Er sehnt sich nach Kraft, wenn er schwach ist und Ruhe, wenn er handeln müsste. Der Mensch ist das Ergebnis seiner Reise. Welchen Zug er nahm, welches Buch er las, welches Schiff er segelte, entschied, wer er wurde und wen er traf. Wer kann schon sagen, was der richtige Weg ist.

Das ist es, was wir erinnern. Wir, die wir unsere eigene Reise machen. Wir, die wir ganz Mensch sind, wenn uns jemand fragt, wie es uns geht und wir mit "Gut!" antworten, obwohl in uns bittere Dunkelheit und schreiende Leere herrscht. Doch wir Menschen könnnen auch ein Licht sein, dass die Dunkelheit verjagt und die Leere füllt.

Beitrag teilen

Teilen über Facebook Teilen über Twitter Teilen via E-Mail Teilen über WhatsApp Teilen über Telegram Teilen über Wordpress

Schlagwörter

~