29. Juli 2021

Hulot am 29. Juli 2021 in Texte.

Gemeinschaften

29. Juli 2021

Am Nachbartisch.

Ein nicht ganz junger Dude: Hab schon wieder ein Match! (zeigt sein Smartphone herum)

Junger Mann 1: (liest) Francesca.

Junger Mann 2: Nicht schlecht!

Dude: Geht so. Hatte schon mal eine Francesca, war ein Geschoss, hat aber nach einer Weile genervt.

Junger Mann 2: Wildlachs, das Kilo nur 39 Euro! (zeigt sein Smartphone herum)

Junger Mann 1: Feucht gebeizt.

Dude: Wollte immer aufs Boot. Hat da aber nichts gemacht. Nur gesonnt. Ist auch nicht so doll, wenn du weißt, was der Mann hier meint.

Junger Mann 2: Haste Recht. Und dann?

Dude: In die Wüste geschickt.

Junger Mann 1: Echt günstig, oder? Ich meine, 39 Euro, oder?

Dude: Ich kenn einen, der macht das für fünfundzwanzig.

Junger Mann 2: Ist auch gut.

Kellner: Darf es noch was sein?

Dude: Drei Alt. Und die Rechnung.

Kellner: Zusammen?

Dude: Klar.

Junger Mann 2: Kein Ding.

Dude: Vielleicht rufe ich sie mal an. Vielleicht so: Hallo, wie geht's, lass mal treffen! (schaut seine Begleiter fragend an)

Junger Mann 1: Fünfundzwanzig ist gut. Ruf den mal lieber an.

Dude: (hält ihm sein Smartphone hin). Da. Mach.

3 Glas Alt, jeder. Zur Seite ab.

Bildbeschreibung

Der Obdachlose neben dem Geldautomaten. Kaffeebecher unter dem Geldausgabeschacht. Schickt seinen Kumpel weg. »Ich muss jetzt arbeiten!«. Geben ihm 50 Cent für diesen Spruch. »Ich kenn noch mehr: Hast du mal 'n büsschn Kleingeld, mein Goldfisch ist ertrunken. Brauch jezz Geld für die Beerdigung«. Noch ein Fuffi.

Bildbeschreibung

Jede Menge Himmel stapelt sich über der Welt auf. Am Horizont verbeißt er sich mit dem Fluss. Geräusche werden sichtbar. Der ganz großer Drama-Filter, Blockbuster-Atmosphäre. Angler winken unserem Ausflugsdampfer zu. In der Kneipe hinter der Anlegestelle singen stolze junge Gäste die Hymne ihres Landes Bumsfallera mit.

Bildbeschreibung

Auf dem Schiff. Ein Vietnamese lässt sich von seiner Tochter mit drei Gläsern fotografieren. Statt »Cheese« sagt er »Biiieeer«. Eine Männerrunde an den zusammengestellten Nachbartischen spricht über ihre Militärzeit, American Sports und verhandelt die Bedingungen, wer das nächste 15er Tablett Bier holt. Mit jedem Rhein-Kilometer werden die Worte bedeutsamer. Zungen erhalten Glas um Glas immer mehr Gewicht. Je fundamentaler die Ansage, desto öfter wird ihr ein "Meine Meinung nach" voran gesetzt. Gerne auch mehrfach.

Bildbeschreibung

Drei Hierarchie-Stufen: Die weißen Wölfe, die gar nichts sagen müssen. Die vitalen Endvierziger Schrägstrich Mittfünfziger, braun gebrannt, Steppweste, quietschbunt bedruckte Poloshirts, zu viel Stirnansatz, zu wenig Scham, den dritten Hemdknopf geschlossen zu halten. Die Jungen, viel zu laut, viel zu servil, doch stets wachsam, den Weißen zu gefallen. Familien werden jetzt angesetzt, vorher kam man leider nicht dazu. Häuser (Plural) sind in der Planung, bevor man später nicht mehr dazu kommt. Weißt du noch, damals? Ja, war nicht schlecht. Aber heute? Meine Meinung nach kannste dat allet verjessen.

Bildbeschreibung

Der Steward sammelt die leeren Gläser wieder ein, damit den Rest des Schiffs auch noch etwas ausgeschenkt werden kann. Ein Sechsjähriger zeigt seinen Eltern, wie gut er hüpfen kann. Der Steward balanciert zwei Dutzend Gläser um diese lebende Kanonenkugel. Gelernt ist gelernt.

Hinterher: »Das war doch schön!«.

Bildbeschreibung

Kirche St. Andreas: Dominikaner, Abendandacht. Für mich Heimatkunde am Limit. Und immer die Sorge (Furcht?), dass jemand herausfinden, dass ich nicht zum Verein gehöre. Ein Blauäugiger in weißem Ornat nimmt sich vom ersten Moment des Raumes an, spannt behutsam eine Kuppel über Mensch, Buch, Glauben, Handeln, Schrift. Eine Schwester drückt mir den obligatorischen Kontaktnachverfolgungszettel in die Hand. Corona macht auch hier nicht Halt.

Es folgen Rituale, Gegenstände, Verbeugung, Hände (gefaltet), Gebet, Liebe, wir, ER, Schwestern und Brüder, niemand hat Gott je geschaut, Geist, Liebe, Wort, Heilige Martha, Kniebänke voller Kerzenwachs, Ewigkeit, Hände (ausgestreckt), Nähe, Beistand, Halleluja, Tod, Knien, Liebe, Wiederauferstehung, »…welche Kartoffeln muss man auf den Augen haben, um die Bibel so zu lesen, dass nur Männer hier vorne stehen dürfen, nicht aber Frauen?« Geheimnis des Glaubens, Flutende Orgelmusik, Kelch voll Blut, Schale voll Leib, Hände (empfangend), Segen, Liebe, Folgsamkeit, Himmelreich, Scheitern, Weitermachen, Liebe, Amen.

Bildbeschreibung

Wenn ich es richtig verstanden habe, dürfen wir um etwas bitten. Hab das noch nie gemacht. Kann nicht schaden. Also:

Pater Blauauge meint, Du kannst ins Herz sehen. Ist 'ne gute Sache, so lenkt mein Geplapper nicht zu sehr vom Thema ab. So von Vater zu Vater will ich daher für all jene bitten, denen diese Pandemie zwar die Lungen verschont, aber die Seele ausgedorrt hat. Du kennst The Kid? Klar, dumme Frage, jetzt wo ich es sage, wem sage ich das. Ist ein prima Kerl. Gibt sich Mühe, mal mehr, mal weniger, weißt ja selbst wie das mit den Kindern ist. Aber er hat ein gutes Herz. Steckt viel drin, das kommt auch anderen zu Gute, irgendwann, ganz bestimmt, ohne Jux. Aber er braucht nun echt mal Aufwind. Einen Impuls, 'nen Tropfen Zuversicht. Ein Licht, damit er wieder wenigstens an das Leben hier unten glaubt. Und eine Zukunft. Jetzt nicht von der Sorte Letzte Tage, sondern zwei, drei Nummern kleiner. Nächster Monat. Nächstes Jahr. Eher die Richtung. Ginge das?

Ich selbst bin ja eher so eine dauerscheiternde Schwachstromfunzel, aber wem erzähle ich das, kennst mich ja. Reicht ja kaum für mich. Immer, wenn ich es anderen gebe, sehen die nicht weiter als vorher. Dumme Sache. Aber es geht hier mal nicht um mich. Sondern seinesgleichen. Wirst noch viel Freude an denen haben. Die haben mehr drauf als wir, die Generation der Dulli-Eltern. Wenn Du also mal eine Minute zwischendrin hast, wäre ich dir wirklich nicht böse, wenn du wieder einen raushaust. Nicht nur für ihn, aber auch. Die Kids leiden alle. Und wir haben keine Ideen mehr. Danke und Amen und das alles.

Bildbeschreibung

Der Blauäugige verlässt die Kirche, die Schwester räumt zusammen. Münzen klappern. Letzte Wünsche vor Kerzen. Draußen rangiert ein Smart beinahe einen Flaschensammler ins Himmelreich. Die Sonne scheint noch. Ein Hund namens Oskar schnüffelt an meiner Hose. Ich nehme das mal als gutes Zeichen. Danke Chef und Amen. Das war doch schön.

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