Der Story ist der Ort egal.
Nicht nur dieser. Allen. Es reicht zu sagen: Der Soldat liegt auf seiner Decke. Vorsichtig hat er die Stiefel auf dem Bettgestell postiert, damit sie nicht das Laken mit schwarzer Schuhcreme verschmieren.
Sie auszuziehen lohnt sich nicht. Ein Pfiff. Die aufspringende Tür. Gebrüll auf dem Flur. Alles kann das Signal sein. Dann heißt es hoch mit ihm und raus mit ihm und schnell und schnell und schneller. Niemand weiß, wann und wie es kommt. Dass es kommt ist hingegen sicher.
Mit langen Blicken versenkt er sich in das Cover seiner Platte. Irgendjemand hat sich irgendetwas mit »...die See« als Titel ausgedacht. Irgendjemand anderes hat quer über das Bild einen Aufkleber gekleistert, damit auch der Soldat versteht, dass diese Platte nicht ihm, sondern dem Militär gehört. Alles hier gehört niemandem, nur dieser riesigen Maschine, die Menschen nach ihrem Bilde formt.
Jeden Tag öffnet sich das Tor, wie ein Trichter und stopft neue Männer nach. Sie lernen hier vergessen. Sich selbst, das Draußen, Selbstverständliches, Unbestimmtes. Dafür erhalten sie neues Wissen befohlen, das sie alsbald wiederum vergessen. Außer die Dinge, die Angst machen. Die werden immer bleiben. Sie sind der Treibstoff für die letzten Schritte. Zum Sieg. In die Parade. Über den Abgrund.
Der Soldat weiß von Chopin nur, dass er Pole und kein Franzose war, auch wenn's so klingt. Unbeirrt schwappt ein Meeresrauschen durch seine Ohren. Ein Klavier klimpert die »Nocturnes« als Gischt oben drauf. Hin und wieder ertönt eine Schiffsglocke. Das ist also »...die See«. Vom Meer versteht er nichts, dort war er nur einmal, als Kind. Kalter Wind, weicher Sand, unendliche Weite, pure Verschwendung des Universums. Aber mit Städten, da kennt er sich aus. Die Plattenhülle duftet wie sein kleines Zimmer. Nichts besonderes, von der Firma gestellt, 12 Quadratmeter, 300 Kiesel im Monat, hinten, im Betriebshof der Schlachterei, Blick auf den Autobahnzubringer. Zwischen Trockenbauwänden und leeren Flaschen vergammelten neben ihm noch 63 andere Kerle. Er hat nie verstanden, wie er dort hingekommen ist.
Andererseits hat er auch nie Chopin verstanden, den französischen Polen oder polnischen Franzosen. Gleichgültig. Vergange Zeiten. Wie können vergangene Menschen etwas bedeuten, wenn lebende egal sind? Der Story sind die Orte egal. Jeder hat sein eigenes Loch.
Das Licht frisst sich durch die Augenlider. Der Soldat springt auf. Eine Schiffsglocke ruft nach neuen Wellen. Vielleicht von einem Leuchtturm? Aber der Ort ist dieser Story egal.
Er ist draußen.