P. sitzt in seinem Hobbykeller. An die Decke hat er sich einen Flachbildschirm gedübelt, auf dem gerade eine Schwarzhaarige mit einem seltsam weißen, seltsam schmalen Vibrator gestopft wird. Wie eine Mastgans, nur an anderer Stelle. Rein. Raus. Rein. Raus. Von der Mitte zur Titte zum Sack – Zack Zack! Als wolle der chewbaccaeske Haufen Körperhaar, der wohl den Mann in dieser Szene darstellen soll, allein durch diese Reibung ein Lagerfeuer entzünden.
Damit ist die Geschichte erzählt, wenn es überhaupt eine gab. Man darf von mir, darf von hier nichts erwarten. Denn P. ist keine dieser Suff-Stories, sondern real. Ein Artefakt, das es sorgsam zu vermessen gilt. Quasi ein Spiegelbild. Meines. Ihres. Denn P. ist kein Einzelfall sondern einer der letzten Spielzeugsoldaten der Wiedervereinigung.
Jeder hier hat einen P. in seiner Familie. Er ist der Typ, der immer wen kannte, wenn man mal wen brauchte. Der alles besorgen konnte. Bei dem man aber auch hoffte, dass niemand auf den Familienfeiern nach ihm fragte, weil es zu peinlich geworden wäre, ihn einzuladen. Nicht doof, aber alles andere als weise. Man traf sie damals zu Tausenden, die Taschen leer, dafür die Köpfe vergleichsweise gut gefüllt, bruchsicher verpackt in den Willen, es nun aller Welt zu zeigen. Sind in dieser Form alle weg, viele tot, andere verbittert. Schatten der leeren Hüllen ihrer eigenen Enttäuschung. Ab und zu findet man noch eines dieser Exponate auf dem Flohmarkt. Marmor, Stein und Eisen bricht. Doch Plaste und Elaste nicht. Die einen freuen sich, dass sie immer weniger werden. Die anderen zucken zusammen, weil es immer noch so viele von ihnen gibt. Massenware. Zu häufig, um heute schon wirklich wertvoll zu sein. Blöderweise wurden die Köpfe immer leerer, je voller die Taschen wurden.
Wenn man den Jubelschreien glauben darf, hat die Schwarzhaarige gerade den Fick ihres Lebens. Sie kann es gar nicht erwarten, mindestens zwei Dutzend klatschnasser Orgasmen gleichzeitig zu bekommen, bevor sie gleich hier und jetzt in die ewigen Matratzengründe abreitet. Besser kann es ja nicht werden. Der Typ ist gottgewordener Penis, penisgewordener Gott, diese Nummer ihr Hochamt, das billige Bett die Kathedrale ihrer Lust. Come on, baby, don't fear the reaper.
Kurz nach der Wende haben wir die Mutter meines Vaters im Westen besucht. Wohnhaft in einem Straßendorf in Niedersachsen, wobei das Wörtchen wohnhaft in diesem Fall auf der zweiten Silbe betont werden muss. Jedes Familienmitglied über 18 hatte sein eigenes Auto. Über jede Garage wachte mindestens ein Hund. Manche hielten sich sogar eigene Adoptivkinder, vor allem die krassen Hippies, in deren Häusern schon anno ‘89 nur vegetarisch gefressen wurde. Es gab da diese irritierend akkuraten Fußweg-Form-Steine, die wie der Red Room bei Twin Peaks aussahen, einen REWE-Markt und schließlich den Elektronikladen meiner Großeltern. Dort konnte man alles bekommen, was sich ein Pubertand aus dem Osten vorstellen konnte: Musikkassetten, Walkmen , Kopfhörer, Batterien.
Gleichzeitig war der Laden eine Videothek. Oben Hollywood neben B-Movies, unten, im Keller, die Porno-Abteilung. Die älteren Herren, die sich dort die Klinke in die Hand gaben, machten sich gar nicht erst die Mühe, unerkannt zu bleiben. Es war praktisch der hiesige Gentlemen-Club. Kunstlederne Sessel, Aschenbecher, Leseecke, Diskretion. Am Donnerstag Ausgeliehenes gab man direkt beim Schäferhunde-Züchter-Treffen am Freitagabend zurück. Alles kein Problem. Vertrauen gegen Vertrauen. Man muss das schließlich verstehen: Die Alte daheim war nur noch am saufen, heimlich versteht sich, da wollte oder da konnte man nicht mehr ran. Die Geliebte, meist eine untergeordnete Kollegin oder hoffnungsvoll ausgelieferte Angestellte hatte auch nicht immer Zeit. Oder schlimmer: ihren Kram. Der Puff schröpfte das Konto sinnlos, mehr als einmal im halben Jahr war da nicht drin. War eine Frage des Prinzips, zumindest wenn man noch gesunde Hände hatte. Sparsamkeit war eine Tugend. Die Kinder sollten es mal besser haben.
Im Wesentlichen steht P. für die Generation, die heute wie überfahrenes Wild auf der Landstraße des Lebens liegen. Vergammeln dort, von Fliegen überzogen, in der Sonne. Jeder Vorbeikommende schmiert sie etwas breiter über, drückt sie etwas tiefer in den Asphalt der Bedeutungslosigkeit. Ironischerweise haben sie diese Straße selbst gebaut. Aber dann ging alles ganz schnell. Innerhalb von ein paar Jahren wurden aus den ewigen Gewissheiten (TM) – Großvater und Vater haben das, das, das schon so gemacht – verwitterte Kilometersteine auf dem Weg in Rumpelkammer der Geschichte. Der Pornokeller wurde von den einschlägigen Videoportalen im WWW abgelöst. Die teuren Sammlungen verstaubten neben den guten Ratschlägen, die man für die kommende Generation sauber daneben aufgestapelt hatte.
Auf dem Flachbildschirm versucht der Schnurrbart-Wookie der Schwarzhaarigen seinen Schwannek anzuflanschen. Dabei erzählt er unfassbaren Unsinn, natürlich alles andere als lippensynchron. Die Autoren nahmen wahrscheinlich an, dass ihr Produkt hochwertiger würde, wenn sie möglichst viele Synonyme in holprigen Umschreibungen benutzen. »Jetzt bekommst du meine Fleischramme in deine braunes Ranzloch gedroschen, darauf stehst du doch, nicht wahr?«. Oder: »Was für ein kleiner rosa Lustschmetterling, den werde ich jetzt mal schön abzüngeln und dann ordentlich durchdehnen.« Pornos der Siebziger, die verschämte Triebabfuhr der Zeit, als die Menschen noch bumsen sagten. Und es dann auch so taten. Egal ob beide wollten. Sollen sich mal nicht so haben.
Abgelöst wurde die Generation P letztlich von denen, die sich heute in der Verantwortung sehen. Welche das sein soll? Oh boy, ich habe keine Ahnung. Es kommt mir so vor, als müsse sich jeder aller Themen annehmen. Jedes ist gleich wichtig, denn der Vorzug des einen bedeutet ja automatisch das Abwerten des anderen. Man muss aber auch mal an sich selbst denken, meint P., wenigstens ab und zu, während er sich und mir (ungefragt) noch einen nachgießt. Und dann sitz ich da immer, sagt er, und gucke zu und weiß gar nicht, wofür die Leute eigentlich stehen. Die Baerbock ist von ihren Beratern total durchtrainiert: Schuhe, Kleid, wie sie was sagt ohne was zu sagen, wie sie sich bei dem Rollstuhlfahrer hin hockt. Der Scholz schickt mich durch sein blasses Gerede auf die Bretter, da schlaf ich sofort ein. Und der Laschet ist ein Clown. Macht der Söder genau richtig, dass er diese Pappnase heute verbrennt, um morgen habs ja gesagt! zu sagen. Ach egal. Alles Verbrecher, wie sie da stehen.
Ich habe keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Noch weniger, was dagegen. Außer: Kannst du deinen Fernseher vielleicht leiser machen, ist schon spät.
Der Typ kleckert der Schwarzhaarigen kehlig gurrend und glücklich ins Gesicht. Seine Arbeit hier ist getan.
Ich sage nichts und gehe wieder in meine Wohnung. Die Katzen schauen mich belämmert an, erwarten hier, erwarten von mir, dass wir noch mal eine Runde raus gehen. Muschis.
Hehehe. Muschis.
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