Sing nochmal unser Lied, Kopfnuss-Baby

Hulot am 22. Mai 2021 in Texte.

Es ist eine dieser Nächte, die nur aus Saxophon und Bass bestehen. In denen man seinen Finger ins Mondlicht taucht, um zu sehen, wie warm es ist.

Sing nochmal unser Lied, Kopfnuss-Baby

Ich würde auch gerne was schreiben, meint sie. Ich bewundere die Leute, die sich ganze Welten ausdenken und das in in eine Geschichte packen können. Stelle ich mir spannend vor.

Dann mach, sage ich. An meiner Schreibmaschine ist immer ein Plätzchen für dich frei, Baby. Leg los.

Wie sich das anfühlt, wenn sich die Gedanken vor einem verstecken. Man nur die Bilder sieht, aber keine zwei Sätze zusammenbekommt. Wörter wie herabfallende Messer. Halt deine Fantasie hin, um sie aufzufangen. Will gut überlegt sein. Aber vielleicht ist das auch nur so ein persönliches Ding. Deshalb halte ich meine Klappe. Denn auf der anderen Seite ist es unbezahlbar, wenn man nach neunundneunzig kassierten Schlägen selbst mal eine Gerade platzieren kann. Soll sie selbst herausfinden. Sie ist viel stärker als ich. Sie bekommt das hin.

Jetzt schreibt sie kleine Bücher voll. Ihre Handschrift ist so unleserlich, wie ihr Anblick beim Schreiben wundervoll. Vielleicht Tagebucheinträge, short stories oder Lyrik am Rande des eigenen Nabels. Warum nicht. Ich mag den übrigens sehr. Schön, warm, großartige Umgebung. Draußen werfen sie laut ihre Autotüren zu, schlagen mit Hämmern auf Mauern, verdrehen Einsen zu Nullen, therapieren sich, als hätte das alles noch einen Sinn. Hier drinnen fliegt jemand zu den Sternen. Klare Sache, würde ich mal sagen. Sie liegt bis zum Ende der zwölften Runde nach Punkten vorn und drei Sekunden vorm letzten Gong haut sie den Stumpfsinn um. Sicher ist sicher. Tänzelnd.

Bildbeschreibung

Lissy schreibt auch, aber auf Output orientiert. Gerade hat sie ihr viertes Buch rausgebracht: »Vom Pflanzen von Menschen«. Die anderen waren so ein biografischer Quatsch über die Schwierigkeiten des Menstruierens in der Uckermark, mittelmäßige Lyrik und eine mittelhochdeutsche Rezeptsammlung auf der Basis von Hirse. Kindheitserinnerungen verkaufen sich immer, auch wenn es nicht die eigenen sind. Wenn Bob Dylan über Industriestädte und Eisenerz-Minen singt, muss er keinen Schutzhelm tragen. Da benutzt eben auch eine Endzwanzigerin gefahrlos das Wort »damals«, um bedeutsam zu klingen. Gedichte lassen dich tiefgründig erscheinen, egal ob es um Autobahnraststätten oder Gartenkräuter geht. Kochbücher lassen einen immer geerdet aussehen. Der Kunde steht auf solche Sachen.

Als sie spitz kriegt, dass Baby nun auch schreibt, wird sie neugierig. Fragt nach handwerklichen Dingen, literaturwissenschaftlichen Staub, Verlagskram, all so was. Baby wird vorgeführt. Selbst als Julius dazu kommt und ihr sein blasses Theatermann-Zeug verkauft, scheint sie nicht zu bemerken, dass sie nach allen Regeln der Kunst verarscht wird. Triumphierend schaut Lissy zu mir rüber. Alles klar. Ich bin es also, der hier eigentlich getroffen werden soll. Das ist ihr Ding. Die Rache der Hyäne. Weil ich ihr Zeug nicht so awesome finde, wie es die Lauchbrigade tut, die sie hier und heute zu ihrer Buchpremiere eingeladen hat. Darum ging es also die ganze Zeit. Hätte ich mir eigentlich denken können. Werde ja sonst nie zu solchen Anlässen eingeladen.

Immer weiter, immer weiter. Armin, seit seiner Scheidung ein Hundertjähriger im Körper eines Mittvierzigers, angezogen wie die Karikatur eines englischen College-Professors, sieht seine letzte Chance auf einen Stich bei Lissy. In der intellektuellen Nahrungskette dieser Veranstaltung steht er als Übersetzer ganz hinten. Er ist der König der sprachlichen Resterampe. Für ein Jugendmagazin hat er Goethe ins Deutsche übersetzt. Klang wie das Plärren dieser YouTuber, die heute halbnackt ihre Kuscheltiersammlung vorstellen und morgen in einer Badewanne voller Pudding masturbieren. Kam trotzdem irre gut an. Oder vielleicht gerade deshalb. Die Truppe schwingt sich hoch, faselt etwas von E- und U-Kultur, wertet auf und ab. Verrät alles, woran man glauben kann, wenn man es sich Mitternacht anders überlegt und vom Fensterbrett wieder zurück in die Wohnung klettert. Sie geben Baby das Gefühl, mit ihr, statt über sie zu lachen. Köter, die sich gegenseitig am Arsch riechen.

Bildbeschreibung

Zwanzig Sekunden später ist alles vorbei. Wer weiß, was durch seinen Kopf ging, als Julius Baby kurz an sich hochspringen sah. Jeder sah, was auf seinem Kopf niederging, als Baby ihm mit voller Wucht direkt auf die Nasenwurzel nickte. Beim Umfallen riss er das Aquarium mit, in dem Lissy dreißig Plastikfische und einen selbst getöpferten Spongebob aufbewahrte. (Selbstredend gibt es darüber auch ein Gedicht als Metapher über irgendwas.) Baby hat die verdutzte Lissy beim Dutt gepackt, ihr Gesicht gegen den Kühlschrank geschwungen, ihre Hornbrille in tausend Splitter zerlegt und anschließend sauber in der Guacamole verstaut. Es gibt kein Entkommen wenn unser Bullshit-Trigger auslöst. Dont mess around with my Baby and me. Der Rest der Premierengäste hält sich am lokalen Billo-Bier fest. Irgendwo weint Armin, weil ich sein Telefon aus dem Fenster geworfen habe. Julius bittet mich, von seinem Brustkasten aufzustehen. Er bietet auch an, unsere Jacken zu holen. Feiner Zug. Guter Junge.

Es ist eine dieser Nächte, die nur aus Saxophon und Bass bestehen. In denen man durch den Regen nach Hause spaziert, weil es in dieser Stunde nichts besseres im Universum gibt. Wirst Du darüber schreiben?, fragt sie mich. Du kennst mich, Baby.

Das war‘s wert.

Find ich auch.

Dann geben wir uns einen Kuss, bevor uns die Bullen in ihre Autos stoßen.


Titelbild "Dame mit Hut" von Monica Silva (Unsplash).

Beitrag teilen

Teilen über Facebook Teilen über Twitter Teilen via E-Mail Teilen über WhatsApp Teilen über Telegram Teilen über Wordpress

Schlagwörter

Prosa